Melanie Raabe – Die Kunst des Verschwindens

Melanie Raabe hat eine besondere Erzählstimme. Die Worte wirken bei mir leicht und magisch, ebenso wie das Buch. Nico und Ellen sind die beiden Protagonistinnen. Zwischen den Jahren scheint die Zeit still zu stehen, das Jahresrad angehalten und Magie kann passieren. All dies kann ich nur bestätigen. Deshalb gefällt mir bereits der Anfang, er trägt ein Stück Magie in sich. Häufig wird wieder in das Magische, das Surreale gewechselt. Das Buch enthält viele Rätsel und es ist wirklich schön diese zu lesen.

Es handelt von Nico, die ihre Mutter ei einem Schiffsunglück verloren hat, und der sehr berühmten Schauspielerin Ellen.

Nico ist auf der Suche nach sich selbst, ihrer Mutter und Ellen. Ellen hingegen ist auf der Suche nach ihrem (alten) eigenem Leben. Warum die beiden zusammen finden, warum sie beim ersten Treffen gleich eine intensive Nähe verspüren und warum Ellen spurlos verschwindet, lest es selbst.

Am 20. März 2023 hatte ich das Vergnügen die Autorin bei einer Lesung bei Koblenz ganzohr zu hören. Eine wirklich sympathische Persönlichkeit.

Dieses Buch ist mehr als eine Buchempfehlung, es sollte in keinem Bücherregal fehlen.

Micha Krämer – Das Unrecht des Stärkeren

Es ist bereits Nina Morettis 11. Fall, aber ich habe nur dieses im Jahr 2020 erschienes Buch von Micha Krämer gelesen. Aber wer weiß, vielleicht folgen noch weitere Bücher in meine Lesereihe vom Westerwälder-Krimi-Autor, dessen Bücher in Betzdorf spielen (oder zumindest dieser 11. Fall). Der Ort im Westerwald liegt nur ca. 40 min. Fahrzeit von meinem Wohnort entfernd, wodurch ich natürlich schon alleine deswegen neugierig auf das Buch geworden bin.
Es ist häufig schwierig, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Denn was Recht ist, liegt eben auch an der Perspektive, von wo es betrachtet wird. Doch Recht gesprochen wird in Deutschland an den Gerichten, auch wenn dieser Richterspruch für einige eher ungerecht ist.
Dies sieht der Scharfschütze in dem Krimi ebenso und sorgt für seine vermeintliche Gerechtigkeit. Er übt durch seine Morde Selbstjustiz und scheint dabei einen genauen Plan zu verfolgen.
Mir hat das Buch gefallen, insbesondere die detaillierte Beschreibung der Gegend, macht es für einen Westerwälder lesenswert. Ebenso gelungen finde ich, wie der Autor, die persönliche Ebene von der Kommissarin Nina näher bringt und dadurch der Leser sehr nah bei der Ermittlerin ist. Die Polizistin wird dadurch menschlich und auch für sie ist die Rechtsprechung manchmal nicht nachvollziehbar, wodurch auch hin- und hergerissen ist, zwischen Sympathie und Antipathie zum Schafschützen.
Ich bin kein Freund von blutrünstigen, brutalen Krimis und bin daher auf meine Kosten gekommen. Für mich ist die kriminalistische Recherche weitaus interessanter und diese ist hier gut getroffen.
Der Autor ist 1970 geboren und lebt – wie kann es anders sein – im Westerwald. Erst mit Ende dreißig hat er sein erstes Buch veröffentlicht und kommt seitdem vom Schreiben nicht mehr los. Seine Lesungen sind sehens- und hörenswert, denn Micha Krämer ist nicht nur Autor, sondern auch Musiker. Absolut sympathisch.

Elizabeth Strout – deutsche Übersetzung „Mit Blick aufs Meer“. Roman über das Leben. Originaltitel „Olive Kitteridge“

Crosby ist eine gewöhnliche Kleinstadt an der Küste von Maine in den USA. Die Autorin Elizabeth Strout lässt uns hinter die Fassaden der Häuser blicken. Die Fassaden, die einer gut bürgerlichen Stadt gerecht werden. Doch jede Familie hat eine eigene Geschichte, mal überraschende, teilweise erschreckende und immer einzigartige Lebensgeschichten. Die Protagonistin Olive Kitteridge ist eine ehemalige Mathelehrerin, die extremen Stimmungsschwankungen unterliegt. Sie hört anderen Menschen zu, ist oft boshaft („Du warst die gefürchtetste Lehrerin an der ganzen Schule, Mom“), manchmal warmherzig und bringt die Sachen ehrlich und offen auf den Punkt („Das hat jeder schon erlebt, dass er jemanden am liebsten umbringen will“). Mit ihrer Art eckt sie an, nicht nur in ihrer eigenen Familie, sondern ebenfalls bei den Bewohnern der Stadt Crosby. Oft fragen sich die Leute aus dem Ort, warum ein so netter und freundlicher Ehemann, Henry, eine solch boshafte und verbitterte Frau geheiratet hat. An Olive kommt keiner in der Stadt vorbei, sie ist präsent und mit ihr begegnen wir den Lebensgeschichten der Menschen. Elizabeth Strout erzählt in jedem Kapitel über eine andere Familie, dabei lässt die Autorin uns zunächst die Äußerlichkeiten der Geschichte wahrnehmen, um im Laufe des jeweiligen Textabschnitts immer weiter in die Tiefen der Gefühle einzusteigen. Liebevoll führt sie die ganze Bandbreite, von Kummer, Freude, Trauer, Wut und Angst auf. Der Leser erfährt von kleinen und größeren Familiendramen über die sich die Bewohner von Crosby sich das Maul zerreißen nach der Kirche oder im Clubhaus. Auch Olive Kitteridge hat eine eigene Lebensgeschichte, die sie zu dem Menschen werden ließ, der sie im Alter ist. Ihr Sohn, Christopher, den sie abgöttisch geliebt und mit ihrer Liebe erdrückt hat, wendet sich von ihr ab. Ihr Mann, Henry, hat einen Schlaganfall und Olive macht sich immer mehr Gedanken über das Leben („Die wenigsten Menschen wussten, was sie am Leben hatten, solange sie es noch leben durften“), die Liebe und ihre eigenen Gefühle nach und nimmt sie uns dabei mit auf diese Reise. Obwohl Olive häufig die Schuld bei den anderen sucht, erkennt sie im hohen Alter, dass sie in vielen Sachen eine Mitschuld trägt oder teilweise komplett Schuld an ihrer Situation hat.
Die Autorin verwendet eine bildhafte Sprache, teilweise mit verschachtelten Sätzen, die Natur und die Gefühle der Menschen vor dem geistigen Auge sichtbar werden lassen. Ihre Dialoge sind dabei erfrischend ehrlich und direkt.
Ein Buch über Lebensgeschichten, die skurril, normal, erschreckend oder furchtbar sind, wie sie das tatsächliche Leben schreibt. Der Roman ist damit eine Aneinanderreihung von Erzählungen, die mit der Hauptfigur Olive verbunden werden. Elizabeth Strout reißt dabei einige Dramen nur an und der Leser wird im Dunkeln gelassen über den weiteren Verlauf innerhalb der einzelnenFamilie.
Mit einer gewissen Ironie werden die Geschichten erzählt. Mit treffenden Metaphern werden insbesondere die Natur und die Ostküste beschrieben, sodass man glaubt, man wäre vor Ort.
Elizabeth Strout, geboren 1956, wuchs selbst in einer Kleinstadt in Maine auf. Die Originalausgabe erschien im Jahr 2008 unter dem Titel „Olive Kitteridge“. 2009 erhielt sie für den Roman „Mit Blick aufs Meer“ den Pulitzerpreis.