Der Lesemonat März 2023 geht zu Ende und wieder habe ich ein älteres Buch, ein Sachbuch und einen neuen Roman gelesen. Detaillierte Beschreibungen der einzelnen Bücher findet ihr in den meinen vorherigen Blogbeiträgen.
Aus dem Februar noch mitgenommen, habe ich Dörte Hansen „Altes Land“. Dörte Hansen ist in meinen Augen eine Meisterin der schönen Worte. Die Sprache, die sie verwendet, ist ehrlich, direkt und mit einem typischen norddeutschen Charakter. Empfehlung: absolut.
Weiter ging es mit „Die Kunst des Verschwindens“ von Melanie Raabe. Es ist ein Roman zwischen Magie, Spannung und Seelenverwandtschaft. Dieses Buch hat mich mitgerissen und ich bin ein neuer Fan der Autorin, der ich dann auch diesen Monat auf der Lesung in Koblenz begegnet bin. Empfehlung: ja, in jedem Fall lesen.
Mitte März bin ich dann in ein Genre gegangen, das ich normalerweise nicht unbedingt betrete: Liebesromane. Ich liebe Familien-, Generationen- und Gesellschaftsromane, aber ich habe bei Julia Stumpp „Wie Papierschiffchen im Fluss“ wieder gemerkt, dass Liebesgeschichten nichts für mich sind. Daher kann ich auch keine klare Empfehlung aussprechen, da ich es nicht beurteilen kann. Dies überlasse ich anderen. Ich fand das Buch unterhaltsam, aber es hat mich nicht in den Bann gezogen, wie andere Bücher. Wie gesagt, dies ist aber eher der Fall, weil es nicht mein Genre ist.
Mein Sachbuch war „Das kleine Buch vom Fasten“ von Rüdiger Dahlke. Es hat mich leider nur drei Tage begleitet und nicht, wie geplant, sieben. Dies lag nicht am Buch, sondern wohl eher an meinem Durchhaltevermögen. Ich empfehle das Buch zur Fastenbegleitung trotzdem und werde es im September erneut herausholen.
Gestern Abend habe ich dann den Monat mit „kalt und still“ von Viveca Sten beendet. Erst heute Morgen habe ich dazu einen Beitrag erstellt, daher an dieser Stelle einfach nur Daumen hoch zu diesem Buch.
Dörte Hansen – Altes Land
Vera lebt seit über sechzig Jahren im Alten Land. Damals kam sie als Flüchtlingskind aus Ostpreußen mit ihrer Mutter. Richtig angekommen ist sie nie auf dem Dorf, doch dies ändert sich, als ihre Nichte mit ihrem Sohn Leon ebenfalls flüchtet und bei ihr unterkommt.
Dieser Roman trifft absolut meinem Geschmack: ehrlich, detailliert und norddeutsch. Es handelt von tiefen Verletzungen in den Familien. Witzig und treffend beschreibt die Autorin die Stadtflucht und den Kontrast zu den alteingesessenen Bauern im alten Land. Dabei findet sie eine sehr schöne Sprache und im beobachtet Menschen und Landschaft genau.
Altes Land war mein älteres Buch in diesem Monat und ich würde es direkt wieder lesen.
(eigenes Exemplar – unbeauftragte Werbung)
Lesechallenge Februar 2023
Zack und schon ist auch der Februar von diesem Jahr wieder rum. Meine Lesechallenge war ja für 2023: Mindestens ein älteres Buch, ein neueres Buch und ein Sachbuch zu lesen. Im Februar ist es mir wieder gelungen. Meine Auswahl für diesen Monat:
1) Ältere Buch: Das Muschelessen von Birgit Vanderbeke, erstmals erschienen 1990
2) Jüngere Buch: Hast du uns endlich gefunden von Edgar Selge, erschienen 2021
3) Sachbuch: Leitwölfe sein von Jesper Juul, erstmals erschienen 2016
Leitwölfe sein – liebevolle Führung in der Familie – von Jesper Juul
Ich habe bereits einige Bücher von Jesper Juul gelesen und so manches Interview gesehen. Jesper Juul ist Familientherapeut und für mich ein sehr bodenständiger Pädagoge. Mein Exemplar ist ein Buch aus dem Jahr 2018, das noch um ein paar Punkte (z.B. Gespräche zum Geschwisterstreit) erweitert wurde. Wieder hat mich der Autor nicht enttäuscht. Es geht in dem Buch um die Rolle der Eltern bei der Erziehung, um gesellschaftliche Defizite und um falsch verstandene Liebe zu den Kindern. Der Schriftsteller plädiert dafür, dass die Führung wieder in die Hand der Eltern genommen werden muss, denn Kinder benötigen Führung, um im Dickicht des Lebens zurechtzukommen. Drei Jahre Pandemie liegen (hoffentlich) hinter uns und daher lege ich gerade in diesen unsicheren Zeiten dieses Buch jedem Elternteil ans Herz. Er zeigt auf, dass die Kinder zwar mit Emphatie, Wertschätzung und Achtsamkeit erzogen werden sollten, aber die Richtung geben die Eltern vor. Dabei sollten diese mit gutem Beispiel vorangehen und somit Vorbilder sein. Wichtig ist, laut Jesper Juul, dass wir nicht die Freunde von unseren Kindern werden sollten, dafür haben diese Gleichaltrige. Wir dürfen und müssen uns sogar, mit unseren Kindern auseinandersetzen. An vielen Stellen zeigt er auf, wie kindisch sich doch teilweise die Eltern verhalten, wenn es um die Erziehung ihrer eigenen Kinder geht, und sich dann wundern, wie sie die Zügel aus der Hand genommen bekommen.
Jesper Juul schreibt absolut verständlich und leicht zu lesen. Aufgelockert wird es noch um Fragen von Eltern und Antworten vom Autor.
Daumen hoch für dieses Buch.
Das Muschelessen von Birgit Vanderbeke
Dieses Buch steht schon länger auf meiner Leseliste und diesen Monat habe ich es mir endlich gekauft. Übrigens gebraucht, was den Geldbeutel und die Umwelt schont. Die Geschichte wird aus der Sicht der Tochter erzählt. Dabei wirkt diese wie Gedankengänge, die aus dem Kind ungefiltert herausströmen. Eine Familie (Mutter, Sohn und Tochter) haben ein Muschelessen zubereitet und warten auf den Vater, der mit ihnen seine Beförderung feiern möchte. Die Zeit verrinnt. Der Vater kommt nicht. Die Muscheln stehen unangerührt in der Mitte des Tisches, denn es wird erst gegessen, wenn er da ist. Doch der Vater kommt nicht. So fängt die Familie an, sich zu unterhalten. Zunächst stellen sie fest, dass keiner von ihnen Muscheln mag und diese nur deshalb gegessen werden, weil es der Vater so wünscht. Erst fangen die beiden Kinder an, den Vater zu kritisieren. Sein künstliches Konstrukt einer richtigen Familie, die nie eine war und nie eine wird. Die Mutter verteidigt erstmal, um dann später ebenfalls Kritik zu äußern. Am Ende stellen die Kinder fest, es wäre besser, wenn der Vater nicht mehr nach Hause käme. Eine Familienanalyse, die sicherlich auf viele Familien projiziert werden kann. Denn es geht unter anderem um Rollen, die in einer Familie vergeben werden und zum Teil gespielt werden, damit das Gebilde aufrecht gehalten wird. Es ist ein schmales Büchlein (111 Seiten), aber es ist voller Andeutungen und Anklagen, wie sich eine Familie verändert, wenn der Vater (wobei ich sage, dass es sich um ein beliebiges Familienmitglied handeln kann) nicht anwesend ist. Mich hat das Buch zum Nachdenken angeregt. Super geschrieben, wobei teilweise nicht ganz einfach zu lesen, weil es fast ohne Absätze mit viel indirekter Rede geschrieben wird.
Hast du uns endlich gefunden von Edgar Selge
Dieses Buch habe ich bereits in einem separaten Blogbeitrag beschrieben.
Edgar Selge – Hast du uns endlich gefunden
Heute habe ich mal den Sonntag mit einem Buch von dem Schauspieler Edgar Selge ausklingen lassen. Bei seinem Debüt handelt es sich um ein autofiktionales Buch, das von seiner Kindheit um 1960 erzählt. Aus der Sicht des zwölfjährigen Jungen schreibt er in seinen Kurzgeschichten über sein Aufwachsen in einem gutbürgerlichen musikalischen Haushalt.
Die erste Erzählung beginnt schleppend. Detailreich wird ein Hauskonzert beschrieben, das in seinem Elternhaus stattfindet. Der Vater ist Gefängnisdirektor, spielt selbst Klavier und hat hierzu einige seiner Insassen eingeladen. Die Mutter blättert die Noten um. Ich rate, das Buch nicht zur Seite zu legen, sondern in den Schreibstil einzutauchen, denn gerade in diesen Details liegt eine Tiefe.
Der junge Edgar Selge beobachtet und erweist dabei erhebliche Menschenkenntnisse. Durch die Familie ziehen sich Risse. Der Krieg ist noch nicht lange her und es gibt einige politische Auseinandersetzungen der beiden älteren Brüder mit den Eltern. Häufig denkt oder spricht der Zwölfjährige im richtigen Moment die richtigen Fragen, wie auf Seite 113 des Buches: „Sag mal, Papa, hat dich dein Vater je geschlagen? Für alle kommt die Frage unerwartet. Aber du wirst rot, lieber Papa. Jawohl, du wirst feuerrot. Und nicht, weil du an Ohrfeigen denkst, die du verteilst.“ Die Kindheit von Edgar Selge geprägt durch Musik, Rohrstock und Flucht in seine Fantasiewelt. „Hast du uns endlich gefunden“ ist absolut empfehlenswert.
(eigenes Exemplar, unbeauftragte Werbung)
Lesechallenge 2023
Tadaa, da bin ich wieder. Im Jahr 2022 bin ich kurz mal abgetaucht. Jede freie Minute neben der Arbeit und den Kindern habe ich in mein erstes Buch gesteckt. Und was soll ich sagen? Ich befürchte, geschriebene Bücher sind Herdentiere, denn bereits jetzt zieht mich eine weitere Buchidee in einen Schreibflow. Was jetzt aus meinem ersten Roman wird, berichte ich demnächst hier auf der Seite. Nun aber zum eigentlichen Beitrag.
Für dieses Jahr war meine Vorsatzliste wieder immens. Ein Punkt auf dieser Liste war das Lesen. 2022 ist es etwas zu kurz gekommen und wenn lesen deine Leidenschaft ist, dann bereitet eine Reduktion dieser Tätigkeit körperliche Schmerzen in Dir. Wer di
e Buchleidenschaft mit mir teilt, fühlt hier sicherlich ähnlich.
Mehr zu lesen ist für mich stets der beste Vorsatz, denn er macht am meisten Spaß.
Dieses Jahr habe ich dafür eine Lesechallenge für mich aufgestellt. In unserem Haus mit zwei Teenagerjungen wird fast ausschließlich in Challenges gedacht, um sich zu motivieren. 2023 verlasse ich auch beim Lesen meine Komfortzone und stürze mich auf Bücher, die ich sonst nicht bevorzuge, um den Horizont zu dehnen.
Dabei besteht
meine Challenge darin mindestens drei Bücher jeden Monat zu lesen. Die Voraussetzung, um für die Herausforderung gewählt zu werden, ist wie folgt: ein Buch, was vor längerer Zeit veröffentlicht wurde; ein Buch, was vor kurzem veröffentlicht wurde, und ein Sachbuch. Dies hört sich jetzt etwas nach Arbeit, anstatt nach Freude an. Aber ich sage euch: diese Challenge wird für mich die wahrste Wonne sein.
Im Januar habe ich dies erfolgreich erledigt. Immer mit dabei ist mein Lesezeichenkalender von Loriot, denn ich entzückend finde.
Das ältere Buch war „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider. Das jüngere Buch war „Home, sweet home“ von Joy Fielding und das Sachbuch war diesmal „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl.
Ich sage es gleich vorweg, alle drei Bücher haben mich auf ihre Weise berührt.
„Schlafes Bruder“ ist ein Buch, das man nicht nebenbei liest. Es handelt sich um einen Bildungsroman. Und dies führt dazu, dass es sich empfiehlt, dieses Buch nicht im Bett kurz vor dem Schlafengehen zu lesen, sondern morgens, wenn die Familie am Wochenende noch schläft.
Die Geschichte spielt im 19. Jahrhundert in einem kleinen Bergdorf, wo es in dieser Zeit häufig Inzucht gab und die Bildung sekundär. Hier wird Johannes Elias Alder, der Protagonist, hineingeboren. Die Art wie der Autor über Töne und Geräusche schreibt, nimmt einen mit auf eine Reise in diese Welt. Es ist kaum zu begreifen, wie Robert Schneider eine solche Vielfalt der Töne aufnimmt und beschreibt. Denn der Protagonist besitzt eine außergewöhnliche Begabung – ein Gehör, das die Töne präzise wahrnimmt und damit auch die Fähigkeit, die Musik auf der Orgel intensiv zu spielen. Diese Fertigkeit verkommt in dem verschlafenen Örtchen jedoch komplett. Das Leben von Elias und seinem Freund Peter wird durch die Eltern in die gewohnten Bahnen gelenkt. Ein Ausbrechen ist kaum möglich. Neben der Musik handelt das Buch von der unerfüllten Liebe von Elias. Im Laufe des Romans heiratet seine Angebetete einen anderen Mann und Elias verliert die Fähigkeit zu lieben, dadurch stürzt er in eine Depression. Am Ende erlangt er zwar wieder die Möglichkeit zu lieben, doch er beschließt, nicht mehr zu schlafen, um zu sterben.
Ein Roman, der zum Nachdenken anregt, aber insbesondere die Art des Autors zu schreiben, hat mich fasziniert. Da habe ich auch hingenommen, dass es kein Happyend gibt.
Mein Fazit: Dieses Buch sollte in keinem Bücherregal fehlen. Achtet auf die Wortschöpfungen des Autors, es lohnt sich.
„Home, sweet home“ lässt uns in die Abgründe hinter den Türen und in den Köpfen der Menschen blicken. Die Autorin Joy Fielding kennt mit Sicherheit jeder hier, aber mit diesem Buch hat sie mal wieder einen echten Hit gelandet. Von der ersten Seite an wird man in den Bann gezogen und versetzt sich in die Protagonisten. Ein Buch für jede Lebenslage. Nur die Gefahr besteht, dass es nicht mehr aus der Hand zu legen ist.
Der Thriller spielt in einer ruhigen, gepflegten Wohnsiedlung in Florida, in die Maggie nach einem traumatischen Erlebnis mit ihrer Familie gezogen ist. Doch nicht nur ihr Mann verlässt sie, sondern auch die Nachbarschaft erweist sich nicht als so idyllisch, wie auf dem ersten Blick angenommen. Am Anfang schauen wir hinter jede Tür der Siedlung, hier fällt auf, dass jede Familie ihre Geheimnisse haben und nicht jedes davon direkt offensichtlich ist. Von Kapitel zu Kapitel erfahren wir Leser mehr von diesen Abgründen. Gesellschaftliche Probleme kommen zur Ansprache: Arbeitslosigkeit, Fremdgehen, Missbrauch, Gewalt, emotionale Abhängigkeiten. Mit diversen Cliffhangern wird das Buch spannend und der Suchtcharakter verstärkt. Erst am Ende wird aufgeklärt, was bereits am Anfang des Buches zur Sprache kommt – ein Schuss.
Fazit: Absolut empfehlenswert.
„Das Kind in dir muss Heimat finden“ ist ebenso kein Buch für nebenher. Wenn man sich gerne mit sich selbst auseinandersetzt und verstehen möchte, warum man in einigen Situationen immer wieder gleich reagiert, dann ist dieses Buch absolut richtig. Doch gleich vorab: hier muss man mitarbeiten. Dies führt auch dazu, dass vielleicht die eine oder andere Erkenntnis über einen selbst schmerzhaft ist. Ob der Ansatz in dem Buch neu ist, kann ich nicht beurteilen. Lohnenswert ist die Auseinandersetzung in jedem Fall. Und für mich hat sich die Arbeit mit dem Buch auch als richtig herausgestellt. Stefanie Stahl gibt einem immer wieder Übungen an die Hand, um mit dem verletzten „Schattenkind“ zu arbeiten, wodurch dies auch anwendbar ist.
Die unterschiedlichsten Glaubenssätze und den Umgang mit ihnen wird beschrieben, was ich persönlich sehr hilfreich fand.
Dies waren meine Januar-Bücher. Der Februar ist bereits halb rum, aber ich habe auch für diesen kurzen Monat schöne Bücher rausgesucht.
Demnächst werde ich aber mal wieder ein paar Kurzgeschichten hier zum Besten geben.
Abby Fabiaschi – Für immer ist die längste Zeit
Abby Fabiaschi – „Für immer ist die längste Zeit“ – Roman
Ich habe die deutsche Übersetzung von Barbara Christ gelesen, das im Fischerverlag erschienen ist.
Die Autorin erzählt aus drei Perspektiven – der Mutter (Maddy), dem Vater (Brady) und der Tochter (Eve). Maddy ist jedoch gestorben, durch einen Sturz von einem Haus. Was genau passiert ist, erfährt der Leser erst am Ende des Romans und die Spannung bis dahin hält die Autorin bis zum Schluss aufrecht. Immer wieder lässt sie kleine Hinweise einstreuen, die einen teilweise auch auf die falsche Fährte bringt. Bereits das ist schon bemerkenswert. Dazu kommt, dass Maddy zwar tot ist, aber noch nicht ganz in der anderen Welt angekommen ist, sondern sich in einer Zwischenwelt befindet. Die Mutter kann damit ihre Familie weiterhin beobachten und wie sie nach und nach feststellt auch ein wenig lenken. Am Anfang noch etwas ungeschickt, schließlich ist die Situation für Maddy auch neu, aber am Ende schafft sie es immer mehr die Menschen zu beeinflussen, wie sie es möchte. Dies ist praktisch, denn Maddy möchte, dass ihre Familie nach ihrem Tod wieder glücklich wird, deshalb versucht sie ihre pubertierende Tochter zu trösten und sucht für ihren Mann eine neue Frau, die natürlich perfekt passen sollte. Problem an der Sache ist, dass Maddy nicht weiß, wie viel Zeit ihr noch zum Richten der Dinge bleiben, denn sie stellt fest, dass der Zwischenraum tatsächlich nur eine vorübergehende Angelegenheit ist auf dem Weg in den Himmel.
Brady und Eve hingegen haben ein schwieriges Verhältnis miteinander gerade nach dem Tod der Mutter. Ein Glück ist Maddy noch da, um die beiden ein wenig zu lenken, damit sie sich wieder annähern können. Bereits am Anfang findet Brady das Tagebuch seiner Frau und liest darin, auch wenn es nicht immer erfreulich ist, was er hier lesen muss. „Wie KANN er es wagen, das zu verpassen. Ich kann es sein, dass ein so intelligenter Mensch nicht in der Lage ist, einer derartigen Selbstverständlichkeit Priorität einzuräumen? ´ich weiß, es ist beschissen, Maddy´, hat er gesagt. Aha – beschissen. Nein, du unfassbar kurzsichtiger Arsch, beschissen ist, wenn man in Urlaub fährt und Durchfall kriegt.“ Immer wieder wird Brady vor Augen gehalten, dass er einige Fehler in der Ehe und in der Beziehung mit seiner Tochter gemacht hat. Durch das Lesen im Tagebuch erhofft er sich jedoch Antworten auf seine Frage zu bekommen, warum sich seine Frau umgebracht hat. Diese Antwort erhält er am Ende des Buches, allerdings nicht durch das Tagebuch.
Mit sehr viel Witz und Ironie erzählt die Autorin die Geschichte, der Familie, in der es Probleme gibt, wie in fast jeder Familie. Wie Vater und Tochter ihre Trauer bewältigen, ist teilweise sehr rührend geschrieben (manchmal ein wenig zu dick aufgetragen), sodass einem beim Lesen die Tränen kommen. Deshalb ist es gut, dass das Buch auch viel Humor aufweist, denn dadurch können sich Weinen und Lachen abwechseln.
Abby Fabiaschi lebt in Connecticut und „Für immer ist die längste Zeit“ ist ihr erstes Buch, welches 2017 erschienen ist.
Jorge Bucay – Komm ich erzähl dir eine Geschichte
Jorge Bucay – komm, ich erzähl dir eine Geschichte
Das wirklich sehr kleine Buch handelt von dem Psychoanalytiker Jorge, der seinem Patienten Demian Geschichten bei den Therapiesitzungen erzählt. Wenn ich sage klein, dann meine ich die tatsächliche Größe, die mit 9,5cm mal 14,5cm und 331 Seiten recht klein ist für ein Buch.
Einige der Geschichten kannte ich bereits vorher in dieser oder einer ähnlichen Form, einige lese ich das erste Mal und bin begeistert. Diese kleinen Geschichten, die Jorge hier erzählt, verbergen natürlich immer eine Lebensweisheit. Einige dieser Erzählungen stammen von Jorge Bucay selbst, andere sind überlieferte Sagen oder Märchen.
Zwischen den Geschichten unterhalten sich Demian und Jorge über die Probleme des Patienten. Ich war mir zunächst unschlüssig, ob dieser Übergang wirklich notwendig ist, habe mich aber insbesondere am Ende des Buches sehr über diese Diskussionen zwischen Jorge und Demian gefreut. Der Vorteil dieser Zwischensequenzen ist, dass die Lebensweisheit der Geschichte oder des Märchens bereits erläutert wird, denn es hat immer einen Grund, warum der Analytiker Jorge gerade diese Geschichte dem Patienten erzählt. So kann der Leser, die Erzählung direkt intensiver lesen und bereits während des Lesens über die Lehre nachdenken und muss nicht erst nach dieser suchen. Es gibt einige Weisheiten über Lügen im Leben, hier war die Unterhaltung dazwischen bereits zum Nachdenken.
Ein wunderschönes Buch, welches bei mir nun auf der Liste steht „Bücher, die man gut verschenken kann“. Solche kleinen Aufmerksamkeiten bringt man gerne als Geschenk für andere mit. Dieses Buch verleitet einen über das Leben an sich und über sich selbst nachzudenken. Jedoch nicht mit schwerer Kost, sondern eben mit diesen Geschichten, dadurch bleibt es unterhaltsam und witzig. Ironisch betrachtet Jorge Bucay auch sich selbst, der sich in dem Buch häufig “Der Dicke” nennt.
Ich habe gerne die Diamenten in den einzelnen Erzählungen gesucht und manchmal auch gefunden.
Ich habe die deutsche Übersetzung aus dem Spanischen von Stephanie von Harrach gelesen, diese erschien 2008 im FISCHER Verlag. Die Originalausgabe wurde 1999 veröffentlicht unter dem Titel „Déjame que te cuente…“
Jorge Bucay wurde 1949 in Buenos Aires geboren, ist sowohl Autor als auch Psychiater und Gestalttherapeut. Seine Bücher sind von seiner eigenen therapeutischen Arbeit geprägt.
Die Geschichte der Bienen – Roman von Maja Lunde
Die Geschichte der Bienen – Roman von Maja Lunde – deutsche Übersetzung von Ursel Allenstein
Maja Lunde erzählt von drei Generationen, in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Jede dieser Generation ist mit dem Thema Bienen beschäftigt in ihrer Zeit und dies ist auch die Verbindung, die diese drei Familiengeschichten zusammenbringt.
Da ist zum einen Tao in China im Jahr 2098, die die Obstbäume per Hand bestäuben muss, weil es keine Bienen mehr gibt. Durch Misswirtschaft und Umweltprobleme kam es dazu. Die Zukunft ängstigt mich als Leser, aber veranlasst mich auch, sich näher mit dem Thema der Bienen und ihrem Sterben zu beschäftigen.
Wilhelm lebt in England im Jahr 1852. Er hat seinen Lebensmut verloren, weil sein Mentor ihn verlassen hat. Durch eine glückliche Fügung und eines seiner Kinder bekommt er eine Idee, die die Bienenzucht revolutionieren soll.
Georg kommt aus Ohio und seine Geschichte beginnt 2007. Hier beginnt das Bienensterben und noch weiß keiner so genau, warum. Natürlich gibt es Vermutungen und immer mehr Imker sind davon betroffen.
Alle drei Protagonisten haben wiederum Kinder, die ebenfalls mit dem Thema Bienen in Berührung kommen. Die Autorin zeigt uns mit der Verbindung zu den direkten Kindern den Konflikt auf, der zwischen Eltern und Kindern besteht, gerade wenn es um Traditionen geht. Dieser wird sehr anschaulich von ihr erzählt. Maja Lunde verwendet die Ich-Perspektive, dadurch lernt man zwar nur die Sicht des jeweiligen Erzählers kennen. Im Laufe der Geschichte versucht sich jedoch das jeweilige Elternteil sich immer mehr auch auf die nachfolgende Generation einzulassen. Diesen Konflikt hat die Autorin sehr gut herausgearbeitet und sich entwickeln lassen.
Maja Lunde lässt uns an den Ängsten, Sorgen und auch Hoffnungen der Generationen teilhaben. Ein Band wird im Laufe des Buches immer mehr sichtbar, durch das die Familien verbunden sind.
Bereits beim Lesen stellt sich der Leser die Frage, wie wir mit der Umwelt umgehen? Was können und sollten wir verändern? Wie gehen wir mit unseren Kindern um und was hinterlassen wir für eine Welt unseren und den nachfolgenden Generationen? Die Autorin trifft unseren Zeitgeist und sollte uns mit den dringenden Fragen des Umweltschutzes lassen.
Maja Lunde wurde 1975 in Oslo geboren, wo sie auch heute noch lebt. „Die Geschichte der Bienen“ erschien 2015 unter dem Originaltitel „Bienes Historie“. Im Jahr 2017 war es der meistverkaufte Roman in Deutschland.
Ein empfehlenswertes Buch, um sich mit der Umweltproblematik auf eine besondere Weise zu nähern.
J.K. Rowling – deutsche Übersetzung „Ein plötzlicher Todesfall“ – Roman
In dem kleinen Ort Pagford verstirbt das Gemeinderatsmitglied Barry Fairbrother unerwartet mit Anfang vierzig. Barry war sehr beliebt und hat die Menschen mit seiner optimistischen Art in seinen Bann gezogen.
Das Städtchen ist in Aufruhe, denn nun steht die Wahl eines neuen Mitgliedes bevor. Die Macht eines Gemeinderates in einer Kleinstadt ist nicht zu unterschätzen, daher gibt es einige Bewerber. Für Pagford geht es hier nicht nur um Verwaltung von Geldern, sondern auch um grundsätzliche Fragen der Zugehörigkeit von einem ärmeren Stadtteil, in dem es einige Drogenabhängige gibt. Barry kam aus diesem Ortsteil und hat sich für die Menschen dort eingesetzt und immer an sie geglaubt.
Zur Wahl stellen sich unterschiedliche Charaktere, deren Fassade (und auch der Menschen um sie herum) bröckelt im Laufe der Geschichte immer mehr.
Es geht um Vorurteile, Rassismus und soziale Herkunft.
Rowling schreibt als auktorialer Erzähler, mit dem der Leser gemeinsam, die einzelnen Menschen aus Pagford kennenlernt und durchschaut. Innerhalb eines Kapitels schaut man so mehreren Personen über die Schulter, bzw. in deren Köpfe. So erfährt der Leser bei einem Abendessen mit fünf Leuten, fünf verschiedene Gedankengänge, die teilweise vom Thema abschweifen, aber teilweise auch tiefe Abgründe ans Tageslicht befördern.
Mit diesem Erzählperspektive wird auch immer wieder der Sprachstil gewechselt, wodurch die Personen sehr authentisch wirken. Auf der einen Seite stehen Terri, drogenabhängig und immer wieder im Methadon-Programm, und ihre Tochter Krystal, die versucht sich aus der sozialen Herkunft zu befreien. Auf der anderen Seite steht die Familie Mollison, mit Howard, Gemeinderatsmitglied und Feinkosthändler, seine Frau Shirley, seinem Sohn Milles und dessen Frau Samantha, diese Familie legt viel Wert auf deren Herkunft und möchte die Methadon-Klinik am Liebsten abschaffen. Dazwischen gibt es einige Familien, die in dem Buch sehr gut charakterisiert werden.
Die Autorin entführt einen in einem tollen Erzählstil an einem Ort, der vor Doppelmoral nur so trotzt und einige Bevölkerungsschichten vertreten sind.
Besonders authentisch hat die Autorin den Konflikt der jugendlichen Kinder mit den Erwachsenen herausgearbeitet.
Spannend und dramatisch gelingt es Rowling, über die verschiedenen Menschentypen zu erzählen und über die Ereignisse, die nach dem Tod von Barry Fairbrother geschehen. Zu Beginn des Romans benötigt der Leser eine gewisse Zeit, die Charaktere zu unterscheiden, aber dann ist es ein sehr guter Roman mit Witz und Dramatik.
J.K. Rowling, geb. 1965, ist durch die Bücher um den Zauberer Harry Potter berühmt geworden. „Ein plötzlicher Todesfall“ ist erstmals 2012 als deutsche Übersetzung erschienen.
Elizabeth Strout – deutsche Übersetzung „Mit Blick aufs Meer“. Roman über das Leben. Originaltitel „Olive Kitteridge“
Crosby ist eine gewöhnliche Kleinstadt an der Küste von Maine in den USA. Die Autorin Elizabeth Strout lässt uns hinter die Fassaden der Häuser blicken. Die Fassaden, die einer gut bürgerlichen Stadt gerecht werden. Doch jede Familie hat eine eigene Geschichte, mal überraschende, teilweise erschreckende und immer einzigartige Lebensgeschichten. Die Protagonistin Olive Kitteridge ist eine ehemalige Mathelehrerin, die extremen Stimmungsschwankungen unterliegt. Sie hört anderen Menschen zu, ist oft boshaft („Du warst die gefürchtetste Lehrerin an der ganzen Schule, Mom“), manchmal warmherzig und bringt die Sachen ehrlich und offen auf den Punkt („Das hat jeder schon erlebt, dass er jemanden am liebsten umbringen will“). Mit ihrer Art eckt sie an, nicht nur in ihrer eigenen Familie, sondern ebenfalls bei den Bewohnern der Stadt Crosby. Oft fragen sich die Leute aus dem Ort, warum ein so netter und freundlicher Ehemann, Henry, eine solch boshafte und verbitterte Frau geheiratet hat. An Olive kommt keiner in der Stadt vorbei, sie ist präsent und mit ihr begegnen wir den Lebensgeschichten der Menschen. Elizabeth Strout erzählt in jedem Kapitel über eine andere Familie, dabei lässt die Autorin uns zunächst die Äußerlichkeiten der Geschichte wahrnehmen, um im Laufe des jeweiligen Textabschnitts immer weiter in die Tiefen der Gefühle einzusteigen. Liebevoll führt sie die ganze Bandbreite, von Kummer, Freude, Trauer, Wut und Angst auf. Der Leser erfährt von kleinen und größeren Familiendramen über die sich die Bewohner von Crosby sich das Maul zerreißen nach der Kirche oder im Clubhaus. Auch Olive Kitteridge hat eine eigene Lebensgeschichte, die sie zu dem Menschen werden ließ, der sie im Alter ist. Ihr Sohn, Christopher, den sie abgöttisch geliebt und mit ihrer Liebe erdrückt hat, wendet sich von ihr ab. Ihr Mann, Henry, hat einen Schlaganfall und Olive macht sich immer mehr Gedanken über das Leben („Die wenigsten Menschen wussten, was sie am Leben hatten, solange sie es noch leben durften“), die Liebe und ihre eigenen Gefühle nach und nimmt sie uns dabei mit auf diese Reise. Obwohl Olive häufig die Schuld bei den anderen sucht, erkennt sie im hohen Alter, dass sie in vielen Sachen eine Mitschuld trägt oder teilweise komplett Schuld an ihrer Situation hat.
Die Autorin verwendet eine bildhafte Sprache, teilweise mit verschachtelten Sätzen, die Natur und die Gefühle der Menschen vor dem geistigen Auge sichtbar werden lassen. Ihre Dialoge sind dabei erfrischend ehrlich und direkt.
Ein Buch über Lebensgeschichten, die skurril, normal, erschreckend oder furchtbar sind, wie sie das tatsächliche Leben schreibt. Der Roman ist damit eine Aneinanderreihung von Erzählungen, die mit der Hauptfigur Olive verbunden werden. Elizabeth Strout reißt dabei einige Dramen nur an und der Leser wird im Dunkeln gelassen über den weiteren Verlauf innerhalb der einzelnenFamilie.
Mit einer gewissen Ironie werden die Geschichten erzählt. Mit treffenden Metaphern werden insbesondere die Natur und die Ostküste beschrieben, sodass man glaubt, man wäre vor Ort.
Elizabeth Strout, geboren 1956, wuchs selbst in einer Kleinstadt in Maine auf. Die Originalausgabe erschien im Jahr 2008 unter dem Titel „Olive Kitteridge“. 2009 erhielt sie für den Roman „Mit Blick aufs Meer“ den Pulitzerpreis.